Philosophie – die faule Schwester der Kunst?

Kannst du dir vorstellen, dass du einen Film siehst, bei dem Menschen in Konflikt mit einer anderen Gattung sind und du bist die ganze Zeit begeistert, wenn wieder ein Mensch stirbt? Hoffst sogar darauf? Während du traurig und entsetzt bist, wenn einer stirbt, der nicht zu deiner Gattung gehört?

Kannst du dir vorstellen, jemand sticht die Nadel in eine Gummihand und du empfindest den Schmerz, als ob er dir zugefügt wurde?

Nein? Dann wurdest du noch nicht mit der Macht der Bilder konfrontiert.

Seit den alten Griechen hat die Philosophie sich auf die Sprache fokussiert. War ja Sprache das einzige brauchbare Werkzeug, um die Bilder im Geist zu beschreiben und mit anderen zu teilen.

Und das war auch lange Zeit richtig, Bilder spielten kaum eine Rolle. Doch spätestens seit der Zeit, in der man sich mit Abbildungen Gottes und Jesus beschäftigt hat, hätte ja mal einer der Philosophen aufwachen können und bemerken, dass es jetzt Bilder gibt, die ohne Worte wirken.

Und was macht man? Gehört zur Kunst, interessiert uns nicht oder nur am Rande. Welch grandioser Fehler, welch Versagen auf der ganzen Linie!

Ihr ureigenstes Werkzeug, das Bild, zu dem Bild in ihrem Kopf, mühsam mit Sprache beschrieben und seziert, liegt offen vor den Philosophen dar und sie erkennen es nicht? Ignorieren es sogar? Ein Bild sagt mehr als tausend Worte und den Philosophen fällt nix anderes ein als zweitausend Worte?

Als diese Bilder dann auch noch Laufen und Sprechen lernten, wo waren da die Philosophen. Unvorbereitet, aber wenigstens überrascht, keuchend, ob der Ungeheuerlichkeit der Weiterungen, etwa zuhause im Sessel, draussen auf der Strasse oder doch weiter in ihrem Elfenbeinturm der Sprache?

Diese Ignoranz hat dazu geführt, dass eine Leni Riefenstahl so überraschend erfolgreich war, dass Disney immer noch so erfolgreich ist und Hollywood gleichermassen. Denn es gab niemanden, der auch nur ansatzweise dagegen gehalten hätte, eine kritische Position entwickelt hätte, die in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Denn wenige Philosophen hatte überhaupt eine Ahnung, was Bilder bewirken können. Insbesondere im Verbund mit Worten. Auch etwas seltsam, von der Macht der Worte war man ja gleichwohl überzeugt.

Vor allem, man zog nicht gleich. Schuster bleib bei deinen Leisten, wir schreiben weiter Bücher. Filme machen? Das ist was für Avantgardisten und Profiteure. Die Philosophie an sich? Zu faul, soll doch die Kunst mal machen.

Regisseure und Medienkritiker müssen sich mehrheitlich darum kümmern, was eigentlich ein fruchtbarer philosophischer Acker gewesen wäre. Denn nehmen wir nur mal die Problematik der Erkenntnis. Wie erkenne ich die Welt? Wie erkenne ich, dass das Abbild der Welt, das ich mir mache, wirklich mit dem korreliert, was da draussen ist? Wie weiss ich, was real ist und was nicht? Wie kann ich es überprüfen?

Ureigenste Fragen der Philosophie. Und Bilder, insbesondere Filme geben ganz neue Antworten darauf. Der Käfig des Buches und der eigenen Phantasie wird verlassen, überlagert von der Bildern der Phantasie eines anderen.

So haben Langzeit-Studien gezeigt, dass Kinder, die z.B. Naturfilme mit Delphinen im Alter von 3 Jahren gesehen haben, diese Bilder in späteren Jahren als reale Ereignisse darstellen. Sie haben es gesehen, sie sind dabei gewesen!

Ebenso gibt es Untersuchungen über optische Täuschungen, die bereits erwähnte Gummihand, die sich optisch an der Position befindet, an der die normale Hand sein sollte, bei denen Schmerz empfunden wird, der einem Gegenstand und nicht dem eigenen Körper zugefügt wird.

Und um zum ersten Beispiel zu kommen, jeder überzeuge sich selbst und schaue sich den Film Planet der Affen: Survival an. In Nullkommanichts befindet man sich in der Position, dass man mit den Affen sympathisiert und sich über jeden getöteten Menschen freut. Obwohl das Setting einigermassen dramatisch ist. Der Fortbestand der Menschheit ist bedroht, eine Affengrippe macht zudem Menschen zu hirnlosen Tieren, wenn sie nicht gleich daran sterben.

Wobei der Film, nebenbei erwähnt, noch ein glänzender Parcours-Ritt über Manipulationstechniken und Stimmungsbeeinflussung ist. Die logische Konsistenz der Geschichte ist dabei Nebensache. Die emotionale Konsistenz muss gewahrt bleiben um den Zuschauer dazu zu bringen, sich mit einer anderen Gattung zu identifizieren und den Wunsch zu haben, die eigene Gattung mit Genuss auszulöschen.

Was sagt uns das aber über unsere Erkenntnisfähigkeit?

  • Wir sind nicht in der Lage unseren ureigenen Körper zu erkennen, wenn wir optisch getäuscht werden.
  • Wir sind nicht in der Lage unseren Selbsterhaltungstrieb aufrecht zu erhalten, wenn wir optisch-akustisch-narrativ getäuscht werden.
  • Wir sind noch nicht einmal in der Lage optische Erinnerungen in Bezug auf ihre tatsächliche Realität abzugleichen.

D.h. die ganzen tollen logischen Sprachgebäude, die errichtet wurden, um Sprache und damit unser Sein besser analysieren und beleuchten zu können, sind das Papier nicht wert. Sie beweisen rein gar nichts, da sie auf Treibsand, auf volatilen Begriffen, aufgebaut sind. In sich logische Zirkelschlüsse, mehr nicht.

Wenn wir nicht zwischen unserem Körper und körperfremden Objekten unterscheiden können, wenn wir quasi unsere Empathie auf andere Objekte ausdehnen können, dann können wir auch kein Annäherung an eine objektive externe Realität erreichen. Zudem wird damit so mancher Science Fiction Roman wahrscheinlich, bei denen Menschen daran sterben, dass sie in einer virtuellen Welt dem Narrativ ausgesetzt sind, eine tödliche Verletzung erlitten zu haben.

Wenn wir innerhalb einer halben Stunde, mehr braucht der Film nicht, dazu gebracht werden können unsere eigene Art als etwas zutiefst Schlechtes und Böses anzusehen und uns über jeden Tod quasi freuen, den einer der unsrigen erleidet, dann haben wir neben dem Problem, den eigenen Körper richtig wahrzunehmen, noch das Problem unsere ureigensten Interessen beschützen zu können.

Wenn wir dann noch bei jeder beliebigen Erinnerung unsicher sein müssen, ob die Kategorie Realität für diese Erinnerung auch zutrifft, dann haben wir eine recht fatale Situation.

Wir wissen nicht nur, dass wir nichts wissen. Wir müssen auch annehmen, dass unser ganzes Weltgebäude im Hirn nur eine Schimäre ist. Eine selbstgemalte und selbst ausgeschmückte Geschichte des eigenen Lebens, in der tatsächliche Bezüge zur Realität gleichsam nur zufällig, wenn überhaupt, vorkommen.

Und wir müssen das, konsequent weitergedacht, eigentlich auf jeden Menschen anwenden. Auch auf alte und neue Philosophen. Da kommt erst recht keine Freude auf. Denn nichts ist sicher, soviel ist schon mal sicher.

Und, zu guter Letzt, dass war alles nur eine Gute-Nacht-Geschichte. Kein Wort davon stimmt und jedes Wort ist wahr. Ich erinnere mich genau.

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