Muss ein Philosoph verrückt sein?

Eine leichte Frage, die man ohne zu zögern mit einem eindeutigen Ja beantworten kann, flüstert mir meine Hybris ins Ohr.

Ich werde euch auch sagen warum, flüstert sie weiter.

Verrückt ist nicht dasselbe wie irre oder wahnsinnig. Wie die Wörter in ihrer Bedeutung schon aussagen, kommt irre oder Irrsinn klar von irren, insbesondere sich selbst. Wahnsinn erläutert sich auf die gleiche Weise, man hängt einer wahnhaften Idee an, ist fixiert auf diese.

Dagegen ist verrückt, wenn man es richtig liest – ver-rückt – erst einmal eine wertfreie Feststellung, die einfach eine Aussage über den gedanklichen Standort einer Person im Verhältnis zur Gesellschaft macht. Wer aus den normalen Denkschemata herausfällt, sozusagen in seiner Position verrückt wurde, hat einfach eine andere Perspektive auf die Dinge. Ob diese Sichtweise richtig ist, sei dahingestellt, denn auch wenn sich eine Mehrheit einig ist, so bedeutet dies doch nicht, dass ihre Perspektive richtig ist.

Wobei wir noch einen Schritt weiter gehen müssen. Denn richtig und falsch sind tückische Begriffe. Was dem einen in dem entsprechenden Zeitalter als richtig erschienen ist, erschien dem anderen in einem anderen Zeitalter falsch. Richtig und falsch kann man zwar versuchen, auf das Individuum abzustellen, und behaupten, alles war solange richtig, solange das Individuum durch die Folgen seines Handels nicht zu Tode gekommen ist. Doch hier mag jemand mit der Perspektive Gattung gut und gern behaupten, dass dem nicht so wäre. Denn wenn das Handeln eines Einzelnen den Bestand der Gattung gefährdet, dann kann dies kaum richtig sein. Und wie wir schon erkennen können, liegt die Crux in der letzten Behauptung darin, dass für eine solche Beurteilung Zeiträume vergangen sein müssen, die unser Lebensalter überschreiten.

Soviel in Kurzfassung zum Thema richtige Perspektive. Es gibt keine. Temporär kann eine Perspektive gewinnbringender sein, für das Individuum, für die Gesellschaft, für die Umwelt, für was auch immer, langfristig wird es nie DIE EINE richtige Perspektive geben. Ich wage sogar zu behaupten, dass mit der Vielzahl der Perspektiven eine bessere, aber nicht vollständige und erst recht nicht richtige Wahrnehmung der Welt möglich sein kann.

Zurück zum Thema, warum sollte gerade die Andersartigkeit der Perspektive ein MUSS sein? Für einen Philosophen?

Nun, ich stelle mich rotzfrech hin und behaupte, hätte ein Philosoph die gleiche Perspektive wie die Mehrheit, ohne alternative Sichtweise, die ihn aus den Mehrheitsperspektiven isoliert (seien wir ehrlich, die Mehrheit hat nicht nur eine Sichtweise, aber es gibt kulturelle Abmachungen, die bestimmte Perspektiven als vorherrschend kennzeichnen – um nur ein paar Perspektivdissonanzen aufzuzeigen, haue ich einfach mal die Schlagwörter 9/11, Kollateralschaden, friedenssichernde Massnahmen, Impfpflicht, Massentierhaltung … in die Runde), ihn oder sie oder es quasi ver-rückt macht, so hätte er keinen Grund, überhaupt über die gängigen Perspektiven nachzudenken. Noch nicht einmal, sie anzuzweifeln.

Denn was so euphemistisch als Liebe zur Weisheit daherkommt, ist doch letztendlich nur die Unfähigkeit oder der Unwillen zur Machtergreifung.

Hoppala, wird jetzt vielleicht der ein oder andere anmerken, dass war jetzt aber ein weiter Sprung. Und ich werde darauf antworten, ja, das war er.

Um das zu erläutern, hole ich noch etwas aus. Ich behaupte nicht nur, dass Philosophen verrückt sind, sondern auch alle, die erfolgreich die Macht an sich reissen oder es überhaupt versuchen. Seien es Könige, Despoten, Händler, Unternehmen, wer auch immer. Allen ist gemein, dass sie eine andere Perspektive, eine andere Sichtweise, etwas erkennen lässt, dass den anderen augenscheinlich verborgen bleibt. Und das sie versuchen, mehr oder weniger erfolgreich, diese neue Sichtweise zu ihrem Vorteil auszunutzen und somit auch nur den animalischen Trieben frönen, die da heissen: Ich wär so gern ein Alphatier!

Nehme ich also an, dass meine abenteuerlichen Behauptungen auch nur halbwegs stimmen würden, dann kann daraus nur geschlossen werden, dass Philosophen aufgrund ihrer Verrücktheit die Möglichkeit zur Machtergreifung hätten (ich glaube, es gab mal einen, der das demonstriert hat, in wirtschaftlicher Hinsicht, man frage Precht zu den Details – und nein, es war nicht Locke, wenn man den moralischen Begriff verwenden mag, kann man ihn zu den gefallen Philosophen zählen, zu denen, die einen Glauben etabliert haben), sie aber (möglicherweise bewusst) nicht nutzen. Ob es sich jeweils um Unfähigkeit, Unwillen oder ein Mischung aus beiden handelt, möge jeder Philosoph mit sich selbst ausmachen.

Letztendlich ist ja die Ratsherrenposition und nirgendwo anders ist die Philosophie zu verorten, mit all ihren idealen Staaten und Gedanken, wie man es besser und effektiver machen kann, die weitaus ungefährlichere Position, als die des Alphatierchens. Der Hauptzorn gilt dem Alphatier, wenn etwas schief geht, nicht dem Einflüsterer, sofern das Alphatier nicht schlau genug ist, den Einflüsterer als Schild zu benutzen und der Einflüsterer dumm genug, dies mit sich machen zu lassen. Selbst die Naturwissenschaften, Abkömmlinge der Philosophie, dienen hier im Wesentlichen nur als Maschinen zur Generierung neuer Perspektiven für die Mächtigen oder die, die es werden wollen. Da sie sich derzeit nicht direkt in der politischen Schusslinie befinden, im Moment noch die cleverste Position, aus evolutionärer Sicht gesehen.

Doch, wie die Geschichte bisher zeigt, fehlt es im grossen und ganzen an moralischer Verantwortung gegenüber der eigenen Gattung, was Erfindungen respektive neue Sichtweisen betrifft. Obwohl das geschichtliche Wissen mehr als nahelegt, dass jede Erfindung primär zu militärischen Zwecken eingesetzt wird, bzw. das Militär das erste ist, welches die militärische Eignung prüft, stellte sich zu keiner Zeit ein Umdenken ein. Was ob der kriegerischen Natur des Menschen auch nicht zu erwarten ist.

Und auch das gehört dazu, ver-rückt zu sein. Nicht zu erkennen, welche Folgen die eigene Perspektiven auf andere Menschen oder einen selber haben wird. Ob wir jetzt Aristoteles, Sokrates, die Sagengestalt Jesus, Newton, Einstein oder wen auch immer nehmen. Erkenntnis kommt nun mal danach. In einem Universum, in dem die Zeit nur in eine Richtung fliesst und die Lebenserwartung begrenzt ist, ist so etwas zwangsläufig. Und andere Sichtweisen führen zu anderen Schlussfolgerungen, insbesondere, da der Mensch ja nur von sich selbst auf andere schliesst, bzw. nur schliessen kann. Was oft schon fatale Folgen gehabt hat.

So, Schluss mit den Verrücktheiten. Legen wir das verrückte Thema als kleinen Denkanstoss an die Philosophie beiseite.

Ich selbst würde ja nicht soweit gehen, mich als Philosophen zu bezeichnen. Ich denke einfach nur verquere Gedanken und bin möglicherweise ziemlich verrückt. 😉

Zu guter Letzt, wie immer, dass war alles nur eine Gute-Nacht-Geschichte. Kein Wort davon stimmt und jedes Wort ist wahr. Wie sollte es auch anders sein?