Liebe, Sex & Beziehungen im Alter – eine längst fällige Abrechnung

Diejenigen, die ihren Partner fürs Leben gefunden haben, brauchen nicht weiterlesen. Gönnt die Zeit lieber eurem Partner.

Fangen wir mit Sex an. Nach dem biologischen Erfolg, der auch Kinder genannt wird, erfüllt Sex nur noch eine Funktion. Er dient der Entspannung, wie die Bonobos durchaus richtig erkannt haben. Warum sich die Menschen damit schwer tun, liegt wahrscheinlich an Religionen, zementierten Weltbildern und dem menschlichen Drang etwas zu besitzen und somit kontrollieren zu können. Mit Liebe hat das herzlich wenig zu tun. Liebe ist bedingungslos.

Aber findig, wie wir Menschen nun mal sind, gibt es mittlerweile einen riesigen Markt an Sex-Dating-Agenturen, die den Menschen das Geld aus der Tasche ziehen, indem sie so tun, als würden sie bei der Befriedigung von Bedürfnissen behilflich sein. Dabei kann man sich für das gleiche Geld einen anständigen Sexarbeiter leisten. Da weiss man was man hat und was man bekommt. Transaktion abgeschlossen, Verbindlichkeiten getilgt.

Und im Gegensatz zu den freischaffenden privaten Sexanbetern, die keiner gesundheitlichen Kontrolle unterliegen, ist das Risiko bei einem professionellen Sexarbeiter doch etwas geringer, sich eine Geschlechtskrankheit zuzuziehen. Bei einer langfristigen Beziehung senkt sich das Risiko, abhängig von der Promiskuität, nochmals um einiges.

Für jene, die sich eine längerfristige Beziehung wünschen, also die Kosten und Risiken für Sexarbeit drücken oder verschleiern wollen, wie ich es jetzt mal provokativ formuliere, gibt es dann jede Menge Partnerschaftsbörsen. Ein Blick hierauf erschliesst weitere Abgründe.

Nicht nur die gepflegten Träume vom Prinzen oder der Prinzessin, nein, das kann man ja haben, man sollte sich vielleicht nur nicht zu sehr darauf versteifen. Kann gut sein, dass Prinz oder Prinzessin erst kommen, wenn man in der Grube liegt und keine Fähigkeit haben, einen ins Leben zurückzuholen. Das alles ist nur ein kleiner Abgrund, der eine gewisse Verzweiflung und Enttäuschung, gepaart mit unrealistischer Hoffnung offenbart. Einen Rückfall in die Pubertät, sozusagen.

Ich meine da eher die Marktmechanismen, die hier greifen. Und die dazu führen, dass alle sich toll und positiv darstellen wollen. Also so, wie sie eigentlich nicht sind. Was ja jetzt dem Zweck, einen passenden Partner zu finden, diametral entgegengesetzt ist. Wenn die Partnerschaft schon mit einer Lüge beginnt, wie soll das funktionieren?

Ich meine da jene, die meinen, ich stell mal ein Bild von mir rein, als ich noch zehn oder zwanzig Jahre jünger war. Oder die mit Photoshop drüber gehen, einen Weichzeichner wegen der Falten drüberlegen, mit Entfernung arbeiten, gleich auf ein Bild verzichten oder was es da nicht so alles gibt.

Und das Marketing geht ja weiter. Kommt man erstmal in Mailkontakt, dann muss man seine Haut aber richtig zu Markte tragen. Spritzig, humorvoll und freigiebig soll man sein. Eine Investition ist gefragt, bei der aber keine Ware, sondern nur eine Möglichkeit, einen Hoffnungsschimmer am Horizont angeboten wird. Doch wer will schon ernsthaft Details seines Lebens dem Netz überlassen, in dem es immer wieder Ausbrüche von Datenreichtum (Neusprech für veröffentlichte private Daten) gibt?

Dann noch diese Anspruchshaltung. Haupttenor: Ich will dieses. Ich will jenes. Ist ja schön und gut, aber kommt nicht erst das Geben vor dem Nehmen? Also die Aussage, gut kochen zu können, ist jetzt aus meiner Sicht keine angemessene Entschädigung. Gut kochen kann ich selbst.

Woher kommt das alles? Ich meine, für den biologischen Erfolg namens Kinder und Enkel, klar, da lohnt es sich zu investieren. Zumindest redet uns das Mutter Natur ein. Es liegt uns sozusagen in den Genen. Aber sonst? Was ist diesen Aufwand wert? Wenn ich mir da einige ältere Frauen anschaue, die doch meist konsequenter als Männer sind, dann sagen sie bewusst, warum soll ich mich mit einem Partner und unnötigen Kompromissen rumschlagen? Ich habe alles, was ich brauche. Kinder, Enkel, Freunde. Wozu also noch ein Problem ins Heim holen?

Wegen dem Sex? Wie ich schon sagte, da ist eine professionelle Lösung billiger und unproblematischer, wenn man nicht in der Lage ist, selbst Hand anzulegen und den Triebstau abzubauen.

Angst vor dem allein sein? Man ist nur so allein, wie man sich fühlt. Man kann sich auch in einer Masse von tausenden Menschen allein fühlen. So what?

Hilfe, wenn man gebrechlich wird? Nun, man wird selbst gebrechlich, da ist das mit der Hilfe auch eingeschränkt. Besonders im Alter.

Finanzielle Sicherheit? In einer Zeit wie der unseren? In der die Gesellschaft durch die Digitalisierung im Umbruch ist? In dem kein Job und keine Rente mehr sicher ist? Illusionen sind etwas für kleine Kinder oder man geniesst sie im Rahmen einer Veranstaltung. Für das konkrete Leben sind sie wenig hilfreich.

Immer noch, schon allein wegen der Lohnstrukturen, betrifft dieses Thema Männer stärker. Auch das gedisst werden, zuhause, wenn man Opfer dieser Entwicklung wurde. Man wird als Eindringling in das Reich der Frau wahrgenommen. Man sollte ja in der Arbeit sein und nicht zuhause. Unabhängig davon, ob man sich an der Hausarbeit beteiligt, sie komplett erledigt oder den Pascha spielt. Unabhängig davon ob man immer noch die finanzielle Basis bereitstellt. Schon die Anwesenheit ist ein Affront. Keine schöne Sache. Vor allem nicht das, was man als Mann von einer Beziehung erwarten würde. Oft hat man schon durch die Arbeit genug Mühe, den Kontakt zu den Kindern und zur Familie ausreichend wahrzunehmen. Kann man es endlich, ist es auch nicht recht.

Und Liebe? Erstmal muss sie da sein. Das ist nur bei Kindern so. Die liebt man einfach von Anfang an. Bedingungslos. Zumindest in den meisten Fällen. Bei Partnern muss Liebe sich erst entwickeln. Klar hat man eine Verliebtheitsphase, in der man völlig gaga ist. Aber das gibt sich nach einem halben, spätestens einem Jahr. Der Zeitraum den Mutter Natur für die Geburt eines Kindes braucht. Schon schlau eingerichtet.

Erst danach fängt man an, an der Liebe zu arbeiten. Und dann? Stellt man vielleicht irgendwann fest, dass man den Partner zwar liebt, aber nicht mehr mit ihm kann. Man bleibt ja nicht stehen. Man entwickelt sich weiter. Manchmal in unterschiedliche Richtungen, die zu unterschiedlichen Lebenswegen führen. Die Kinder sind auch aus dem Haus, warum also noch Kompromisse eingehen?

Liebe ist bedingungslos. Bedeutet daher auch, jemanden gehen zu lassen oder zu gehen, wenn es das Beste für beide ist. Ohne Groll. Aber das ist es ja nicht, was die meisten unter Liebe verstehen. Denn dummerweise verwechseln immer noch viele die Liebe mit Besitz und Kontrolle.

Die Frage ist also, was treibt uns an, krampfhaft nach einer dauerhaften Beziehung zu suchen, obwohl das Alter und die Erfahrung uns sagen, dass nichts von Dauer ist?

Könnte es sein, das es damit zu tun hat, dass die Sozialstrukturen unserer Gesellschaft auf Paare ausgerichtet sind, nicht auf Familien oder gar Grossfamilien?

Könnte es sein, das unsere Gesellschaftsstruktur nicht mehr dafür geeignet ist, einem Mitglied der Gemeinschaft Halt zu geben, das keinen Partner hat?

Könnte es sein, das eine Zweier-Beziehung einfach die Norm ist und deshalb, gemäss dem Herdentrieb, die Mehrheit dies als erstrebenswert hält? Auch wenn es keinen Sinn oder Nutzen mehr erfüllt?

Oder werden wir einfach zu alt und kommen nicht damit klar, dass die Märchen, die wir kennen, für Leute geschrieben wurden, die mit etwas Glück dreissig oder vielleicht vierzig wurden?

Wozu also noch eine Beziehung eingehen? Was sind das für tolle Vorteile, die ich da haben soll? Bis jetzt habe ich immer draufgezahlt. Finanziell und emotional. Klar, den finanziellen Teil hätte ich verhindern können, in dem ich mich wie ein Geizhals benommen hätte. Leider ist das nicht mein Stil. Und der emotionale Teil betrifft jeden. Doch ich rede nicht von der Schuldfrage. Schuld sind immer beide oder keiner.

Gefühlsmässig tendiere ich ja zu einer Zweier-Beziehung. Nur die Fakten über die Lebensspanne sprechen immer mehr dagegen. Mir gehen sozusagen langsam die Rechtfertigungsgründe aus. Und die Zeit wird auch knapp, denn mit dem Alter kommt die Einsicht in die eigene Sterblichkeit. Warum sollte ich also nicht, ganz egoistisch, im Stil der Zeit, den Rest meines Lebens unbeschwert geniessen? Und trotzdem alles haben, was ich benötige, nur nicht unter dem Dach „Zweier-Beziehung“, die in dieser Gesellschaft die übliche Lebensform darstellt?

Vielleicht habt ihr ja Gründe, die ich noch nicht kenne. Schreibt sie in die Kommentare und lasst uns drüber reden.

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