Ich lebe, also bin ich

Descartes soll angeblich als Erster behauptet haben „Ich denke, also bin ich„.

Kann man für den Menschen vielleicht so stehen lassen. Aber für den Rest?

Bewusstsein, wie der Mensch es verwendet, ist nichts anderes als die Reflektion dessen, das schon ist. Es ist ein anderes Wort für Denken. Umgangssprachlich gesehen.

Sich seiner bewusst sein, so wie ich das sehe, erfordert nicht zwangsläufig Reflektion, aber immer Reaktion. Alle Organismen, die wir kennen und beobachten können, reagieren auf Änderungen der Umweltbedingungen, seien sie positiv oder negativ.

Wenn man versucht, dies damit abzutun, dass nur ein simples chemisches Programm abläuft, dann kommt man in Erklärungsnot, wenn man den Primaten im Menschen untersucht. Ein paar Hormone hier, ein paar Pheromone da und du erkennst das Wesen nicht mehr, das vor dir steht. Bildlich gesprochen.

Viele Wesen um uns herum haben ein Bewusstsein, dass es ihnen zumindest ermöglicht einen zeitlichen Horizont zu ihren relevanten Aktionen herzustellen. Als Beispiel sei hier eine Wespenkönigin genannt, deren Namen ich nicht kenne, deren Schicksal ich aber zutiefst bedauerte, als ich die Konsequenzen meines Handels reflektiert habe.

Sie baute, munter, im beginnenden Frühjahr, ein Wespennest, schön anzuschauen, auf unserem Balkon. Als angstgetriebenes Wesen, das dummerweise eine Allergie gegen Wespen- und Bienengift hat, habe ich die Anfänge des Nestes (oberes Drittel war fertiggestellt) entfernt oder entfernen lassen (Erinnerungen sind trügerisch), als die Königin wieder mal (Süssholz) raspeln war, um das Papier für das filigrane Nest zu erzeugen.

Dann kam sie zurück und ich musste sie beobachten. Sie dabei beobachten, wie sie „fassungslos“ (in meinen Begriffen) vor dem Punkt hin und her schwirrte, an dem ihr Nest sich befunden hat.

Völlig unbegreiflich hat sie noch mehr Energie darauf verschwendet sich immer und immer wieder zu versichern, dass ihre ganze Arbeit, ihr ein Drittel Startkapital für dieses Jahr, einfach so nicht mehr da ist.

Man muss wissen, Wespenköniginnen sind nach dem Winterschlaf recht ausgehungert, ihre Ernährungssituation ist prekär, es ist noch nicht viel unterwegs und sie müssen viel Energie für das Nest aufwenden, Holz raspeln statt Jagen, bis die ersten Arbeiterinnen ihre Arbeit aufnehmen.

Sie hat also die Früchte ihrer Arbeit verloren, eigentlich kaum noch Kraft für einen Neuanfang und vergeudet dann noch eine Viertelstunde herumschwirren um den Punkt an dem sich ihr Nest befand? Effektiv wäre anders. Lernen und Reflektieren ist genau so.

Und selbst Leben, dem wir Bewusstsein absprechen, wie Pflanzen, ist sich trotzdem seiner Umwelt bewusst und reagiert darauf. Das gilt für alles Leben, das wir kennen, bis hinunter zur Amöbe.

Wir meinen also einen Vorteil zu haben, weil wir sogar über unser Bewusstsein nachdenken können. Mag sein. Aber für den Punkt, das ein Leben ist, ist Denken in unserer Form, nicht notwendig. Das ist nur einer unserer Primatenrassismen, die wir gerne pflegen.

Deswegen würde ich Descartes gern erweitern: Vivo ergo sum.

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