Warum Alles ist Nichts absolut Sinn macht.

Ansichten eines scheiternden Schöpfers

Zur Zeit versuche ich mich gerade daran, ein Partikel im Computer zu entwerfen, wobei ich mich einerseits an dem KISS-Prinzip orientiere. Keep it simple, stupid. Komplexität kommt von allein, einfach durch Interaktion.

Und andererseits mache ich mir Gedanken, wie ein Schöpfer, nicht ein Bewohner, dieses Universums, die Sache angehen würde.

Vom Kleinsten zum Grössten in Nullkommanix.

Denn dieses Ding mit den Partikeln oder Wellen oder was sie auch immer sein mögen, ist schon eine spannende Sache.

Wir glauben zu wissen, das e = mc2 ist. Ich bemühe mich jetzt nicht, dass in schöner Formelschreibweise mit dem richtigen Zeichensatz zu machen. Wenn also Energie gleich Masse ist. Klar, da ist noch ein Faktor dabei, die Geschwindigkeit, wie bekomme ich dann das Wunder hin, dass etwas gleichzeitig Masse und Energie ist?

Natürlich nur durch Schummeln, bzw. eigene Regeln festsetzen. Nur mal so ein Gedankenspiel:

Als Schöpfer möchte ich ein Universalteilchen, Partikel, Quant was auch immer bauen. Und ein Universum, in dem es existiert.

Das witzige ist, mit dieser Sache namens Informatik und den entsprechenden Geräten können wir das ja eigentlich schon. Wir machen es Tag für Tag, konsumieren Tag für Tag nicht existente Welten, warum nicht gleich was Richtiges? Ein kleines Taschenuniversum, vielleicht?

Ich schweife ab. Wenn ich also so ein Universalteilchen bauen möchte, könnte ich sozusagen das Nichts rotieren lassen und dann sagen, weil es rotiert entwickelt es eine Masse und Eigenschaften. Und, voila, aus dem Nichts entsteht ein Etwas. Aber nur solange es rotiert. In irgendeine Richtung auf den xyz Achsen.

Soweit, so einfach, relativ gesehen, an verschiedenen Formeln breche ich mir immer noch Hirn und Finger. Insbesondere was die Vereinfachung betrifft.

Ein Gedanke dabei ist, die Zeit rauszukürzen. Einfach indem ich sage, ein Rechenschritt bedeutet, dass alles in diesem virtuellen Universum einmal berechnet wurde, in seiner Wechselwirkung mit allem anderen. Das heisst, solange das Universum berechnet wird, vergeht für das Universum keine Zeit.

Damit lässt sich schon viel vereinfachen, e wird zu m, quasi. Es bleiben die geometrischen Probleme, das bewegen in einem Koordinatengitter, wie auch die einfachen Funktionen und Reaktionen zwischen den Universalteilchen. Aber das ist nicht der Punkt.

Wenn ich als Schöpfer so ein Universum auf dem Grundsatz von Parität entwerfen würde, dann würden auch bestimmte weitere Eigenschaften Sinn machen. Zum Beispiel die Eigenschaft, dass alles zusammengenommen, in diesem Universum immer 0 ergeben muss. Alles muss sich ausgleichen.

Wenn man dann darüber nachdenkt, ein Universum mit einer spiegelbildchen Komponente zu versehen, dann kann man Ungleichgewichte in einem Universum haben, ohne die Parität zu verletzen, da diese Ungleichgewichte ja im Spiegelbild zur Parität werden.

Und somit Alles zu Nichts wird, obwohl es immer mehr als die Summe seiner Teile wäre.

Das Witzige an diesem Gedanken ist noch, als Schöpfer könnte ich diesen paritätischen Grundgedanken als Kontrollmechanismus installieren und einen Rechenschritt stoppen, sollte je diese Regel gebrochen werden, z.B. weil das Universum vielleicht gehackt wurde.

Dieser Mechanismus würde dann dafür sorgen, dass der Schöpfer die Parität wiederherstellen kann, ohne dass ein Bewohner des Universums, so es ihn denn je gäbe, auch nur das Quäntchen einer Ahnung hätte.

Ach ja, man könnte dabei auch das Spiegelbild messen und auswerten, ohne das eigentliche Universum zu stören. Nicht das der Herr Heisenberg noch böse mit uns würde.

Insofern: Alles ist Nichts, Freunde der Nacht.

Die Konsequenz

Jason war Fleischer. In einem Betrieb, einem industriell geführtem Betrieb, um genau zu sein. Täglich kam lebendes Fleisch rein und verliess den Ort als totes Fleisch. Nichts Besonderes, soweit es Jason betraf. Er filettierte bestimmte Stücke und stand weit hinten in der Verwertungskette. Es war eher eine mechanische Arbeit. Industriell eben.

Dann, an diesem Freitag morgen, sollte sich alles verändern. Es war ja nicht so, dass er nicht auch schon von multiresitenten Keimen gehört hätte. Im Zusammenhang mit Krankenhäusern. Zumindest.

Und klar, jeder kannte ihn soweit. Immer die gleichen Leute, mit denen man über die Dauer der Zeit und der Wiederholung fast zwangsläufig ins Gespräch kam.

Was seltsam war, an jenem Morgen, dass alle sich abwandten. Die meisten blickten in eine Richtung, in der sie vorgeben konnten, ihn nicht gesehen zu haben. Alle waren sofort von ihm abgerückt, als er den Bus betrat. Die Situation überforderte Jason derart, dass er nicht in der Lage war, auch nur irgendwie zu reagieren. Selbst der übliche Gruss blieb ihm im Halse stecken.

Und nur eine Frage beschäftigte ihn: Was habe ich getan?

Soweit er wusste, war er gestern weder auf Sauftour mit komatöser Heimkehr gewesen, noch, dass er eine Auseinandersetzung mit irgendjemandem gehabt hätte. Es war ein ganz normaler Routinetag.

Grüsse und Nicken auf dem Weg zur Arbeit, Scherze und Flüche während der Arbeit, Grüsse und Nicken auf dem Weg nach Hause. Dann ein gemütliches Bierchen zischen, etwas an der Gamekonsole abhängen, bei nem Film chillen, der noch zwei Bierchen erforderte. Und Chips.

Das war’s. So weit, so banal.

Als er seinen Badge an den Kontrollpunkt des Fabrikeingangs hielt, meinte er fast, eine seltsame Stimmung zu erhaschen. Als ob sich seine Kollegen heimlich in die Fabrik reinschleichen wollten. Und da, wer war dieser Typ mit dieser Lederjacke, der einfach nur rumstand. Als ob er immer da rumgestanden hätte. Dabei hatte Jason ihn noch nie vorher bemerkt.

Der Morgennebel tat das Seinige, um der Situation den richtigen Anstrich zu geben.

Als Jason sich an seinem Spind fertig machte für die nächste Schicht wurde es noch schlimmer. Seine Kollegen waren quasi verstummt. Ein gemurmeltes Hallo, ein knappes Nicken, jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen.

Dann die Schicht, ein Gemetzel, im wahrsten Sinne des Wortes. Nichts funktionierte so, wie es funktionieren sollte. Wie Jason gewohnt war, dass es so funktionierte. Jason war es gewohnt, dass Tierhälften ankamen. Von denen er die Filetstücke extrahierte. Das diese Tierhälften ihn anstarrten, blöckten, muhten, quiekten, davon war weder in seiner Stellenbeschreibung die Rede, noch war Jason dieser Situation gewachsen.

Ganz zu Schweigen davon, dass es sich nicht um Hälften handelte. Zumindest in den weniger verstörenden Anlieferungen.

Jason liess zwar alles Leben, oder sollte man vielleicht eher von Halbleben und Extremleiden sprechen, passieren. Wie auch viele seiner Kollegen, aber versuchte doch noch, dass ein oder andere Filetstück herauszuschneiden, wenn das Exemplar alle Kennzeichen von Tod aufwies.

Was hiess, weder zuckte es, noch schaute es einen an, noch machte es Geräusche.

Zugegeben, die Kriterien, die Jason, völlig gerechtfertigt, wenn man seinen Arbeitsvertrag berücksichtigte, anwandte, führten natürlich zu einer gewissen Tatenlosigkeit. Seinen Kollegen ging es da keineswegs anders.

Bis Abasin aufstand, ein eher schmächtiger Inder, dem man sein Talent nicht ansah.

„Es ist genug!“

Das war alles was er sagte. Dann ging er.

Alle waren wie gelähmt. Da verlässt einer gerade die Schicht und sagt nichts! Nichts ausser es wäre genug, für wen auch immer. Das war noch nie passiert. Zumindest noch nie in einer Schicht, die Jason gehabt hatte.

Kaum einer bemerkte das Stoppen des Fliessbands als Abasin wieder da war und auf weiterhin oraklehafte Art verkündete:

“ Wir können nicht mehr raus!“

Vereinzeltes Gelächter ertönte. Als der Blick am Fliessband hängenblieb, dass gestoppt hatte, als alle sich der plötzlichen Stille bewusste wurden. Sicher, es quickte, muhte und blöckte immer noch, aber das Fliessband, das saubere Geräusch des erbarmungslosen Todes, war verstummt. Diese Stille also.

Diese Stille und das stehende Fliessband agierten wie ein Schalter für alle, einschliesslich Jason und bewirkten ein völlig synchrones Balett von Hälsen, Mündern und Ohren.

Sicher wäre es kaum zu entziffern gewesen, rein akustisch. Aber jeder, ausnahmslos jeder, drehte sich zu Abasin um und meinte, irgendwie:

„Was hast du gesagt?“

Wenn Abasin die Kunst des Verschwindens beherrscht hätte, er hätte sie angewandt. Angeleuchtet von den Scheinwerfern der Augen seiner Kollegen, fast zitternd, wie ein verängstigtes Reh, wurde diesen Kollegen, wie auch Jason, bewusst, dass Abasin tatsächlich Angst hatte. Aber nicht vor ihnen.

„Wir können nicht mehr raus. Die Tore sind von aussen blockiert. Wir sind hier eingeschlossen!“

Für einen Moment übertönte das Geschnatter der Kollegen sogar das Muhen, Quieken und Blöcken.

Jason wandte sich an Karl neben ihm.

„Haben dich die Leute im Bus eigentlich auch geschnitten? Heute morgen?“

Ein kurzes Nicken, sonst kein Wort.

Verdammt, dachte Jason, was zum Teufel ist hier los?

Die Sirene und Betriebsdurchsage brachte auch keine Klarheit.

„Hier spricht die Betriebsleitung. Wir befinden uns derzeit in einem Belagerungszustand. Die Terroristen, die die Belagerung durchführen, haben uns zum Seuchen- und Quarantäne-Gebiet erklärt. Die Polizei ist informiert und bereitet eine Lösung vor.“

Es war mal wieder Abasin, der alle mit mehr Informationen beglückte, auch wenn diese Wortwahl in diesem Zusammenhang fast nur zynisch interpretiert werden kann.

„Es gab eine Sendung, keine Ahnung wo. Irgendwas von multiresistente Keime. Und das wir sie in uns haben. Wegen dem Antibiotika, was die Tiere bekommen. Und dann gab es nen Shitstorm auf Social Media. Überall. Und jetzt werden alle Schlachterei belagert. Aus deren Sicht müssen wir in Quarantäne bleiben. Was die Polizei und die Armee macht? Wer weiss das schon. Ich glaube, Freunde, wir sitzen in der Scheisse.“

Gedanken zu Menschen und KI

Wenn man nur annähernd von der Idee ausgeht, dass neuronale Netzwerke in Ansätzen Strukturen nachbilden, die in humanen Gehirnen oder, weiter gefasst, in diversen Lebensformen präsent sind, dann sollte man ein besonderes Augenmerk auf die Fehler richten.

Kurz gesagt: Shit in, Shit out

Entsprechend aller Erfahrungen, die wir bis jetzt gemacht haben (Schildkröte oder Waffen, googelt es doch selbst), kann man davon ausgehen, ganz allgemein, dass das Training eines neuronalen Netzes zu blinden Flecken, wie auch zu Fehlinterpretationen führt, die spezifisch mit dem Training zusammenhängen.

Wenn wir diesen Gedanken erweitern, wir befinden uns in einem Gedankenspiel, keiner mathematischen Beweislage, dass Training impliziert, anfällig für bestimmte blinde Flecken wie auch Fehlinterpretationen zu sein und wenn wir unterstellen, dass auch wir Menschen zu den Lebewesen gehören, die neuronale Netze in wesentlich höherer Komplexität benutzen, dann mag es möglich sein, dass auch unsere „Wirklichkeit“ blinde Flecken und Fehlinterpretationen enthält.

Soweit, so schrecklich.

Wenn mehrere verschiedene neuronale Netze komplex vernetzt sind, dann gibt es einerseits die Möglichkeit, dass diese Netze sich gegenseitig  kontrolllieren um Fehler zu nivellieren. Aber es ergibt sich auch die Möglichkeit des viel stärkeren Feedbacks, des Aufschaukelns eines Systems.

Und es gibt noch einen anderen schrecklichen Gedanken …

Wenn wir die Erfahrungen aus neuronalen Netzen auf unsere Konfiguration erweitern, dann bedeutet dies auch, möglicherweise, dass unsere Wirklichkeit nur vom Input geprägt ist, den wir erhalten haben. Dass diese Wirklichkeit möglicherweise ein funktionierendes Abbild der Realität in einer überschaubaren und bekannten Umgebung ist, aber keinesfalls ein tatsächliches Abbild der Realität.

Was, nur so nebenbei, viele Seltsamkeiten im Verhalten von Lebewesen erklären könnte. Wenn der Schwarzschildradius der eigenen Ereignishemissphäre nur auf wenige lokale Ereignisse und ihre Erkennung begrenzt ist, dann führt das dazu, dass man nur mit Lichtgeschwindigkeit diesen Horizont überwinden könnte. Wäre jetzt mal meine Annahme.

Noch so ein paar Splittergedanken.

KIs brauchen ihre Verarbeitungs- und Lernphasen mit Wiederholung.
Wir brauchen Schlaf – wo genau ist da der Unterschied?

KIs können nur das Erkennen, was sie gelernt haben.
Wir können nur das Erkennen, was wir gelernt haben, auch wenn es ungleich mehr und vielfältiger ist – wo genau, im Prinzip, ist da der Unterschied?

KIs tun sich schwer mit Diversität, wenn es Kategorien betrifft.
Wir tun uns schwer, wenn wir unser Verhalten ändern wollen – wo genau ist da der Unterschied?

Sicher, einerseits könnten diese Gedanken endlos fortgesetzt werden, andererseits bestehen durchaus gewaltige Unterschiede. KIs sind isolierte neuronale Netzwerke, während wir Lebewesen, die durch das evolutionäre Sieb gepresst wurden, erprobte Modelle von Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Formen neuronaler Netzwerke sind.

Wenig verwunderlich, dass die Dichte der Neuronen rund um Verdauungsorgane dichter ist als in Gehirnen, so sie sich als nützlich erwiesen.

Klar, man kann es nicht vergleichen. Aber darum geht es doch nicht. Man kann auch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, sofern man sich in der Kategorie Äpfel oder Birnen bewegt. Bewegt man sich in der Kategorie Obst, dann zählen auf einmal andere Faktoren und ein Vergleichbarkeit ist gegeben.

Selbst wenn wir extrem optimistisch annehmen, dass unsere neuronalen Netze viel effektiver und optimierter sind, dann kommen wir trotzdem in die Verlegenheit, dass komplexe Systeme einfach anfälliger sind. Die Evolution mag durch Aussortieren eine Menge Mechanismen geschaffen haben, die einen Feedback verhindern.

Aber, mal ehrlich, wie gelang und gelingt es Wesen zu überleben, die fast oder überhaupt keine Ahnung von der Welt im Grossen und Ganzen haben, sondern nur ihr kleines, feines Umfeld soweit erkennen, dass ein Überleben möglich ist?

Deutet das nicht darauf hin, dass Wahrnehmung der Welt im Ganzen, vielleicht sogar Erkenntnis nur ein untergeordnete Rolle im Roulette des Lebens spielt?

Ich schweife ab, Erkenntnis mag hilfreich oder eine Bürde oder Beides sein. Und doch ist es mit dem Thema verwoben. Ich sprach gerade von Reichweite, und die mag sehr unterschiedlich sein.

Aber Erkenntnis an sich? Deutung der näheren und nahen Umwelt? Das ist ein Killerkriterium in diesem Spiel des Lebens. Neuronale Netze, wie wir sie so unvollkommen nachahmen, sind da ein wesentlicher Faktor.

Eine Möglichkeit zur Selbsterkenntnis,

Wenn man die Hybris mal kurz bei Seite lässt.

Im Anspruch denken – Das Zeitalter der Egozentrik

Immer wieder bin ich überrascht, wie stark wir (ja auch ich bin nicht frei von dieser Sünde) in Anspruchsdenken verfallen. Oft aus Gewohnheit heraus. Man ist gewohnt, auch das ungewöhnlichste Gemüse oder Südfrüchte jeden Tag im Supermarkt zu finden. Man entwickelt einen Anspruch.

Das merkt man dann, wenn irgendetwas einmal nicht da ist. Sehr oft regt man sich darüber auf. Das gleiche, wenn mal das Internet nicht geht, der Strom ausfällt oder der Partner nicht genau das gemacht hat,  was man erwartet hat. Was man für sich in Anspruch nimmt.

Dabei werden wir nackt geboren. Ohne irgendetwas. Hilflos, meist eher hässlich, aber dank Kindchenschema scheinen die Eltern genau das zu lieben. Was einem meist das Leben rettet. Wir haben das Glück gehabt, dass jemand uns gefüttert hat, die Windeln gewechselt hat, uns gezeigt hat, wie man dieses und jenes macht. Dabei hatten wir nie einen Anspruch darauf.

Wir haben nur Glück gehabt. Und freundliche Menschen, die sich um uns freiwillig gekümmert haben. Und nicht weil wir einen Anspruch darauf hätten.

Es scheint mir, wir sind es mittlerweile so gewöhnt, selbstverliebt zu sein und etwas, dass gegeben wurde, als Anspruch zu sehen, dass wir vergessen haben, dass zum Nehmen auch das Geben gehört. Und das es viel anspruchsvoller wäre, weitmöglichst anspruchlos zu sein. Frei von Erwartungen. In der Lage, das Leben so zu nehmen wie es ist. Und sich daran zu freuen, was ist. Anstatt zu bedauern, dass etwas nicht ist.

Allein, im Zeitalter der ständig eingeübten Egozentrik (Hit me hard, hit me quick, with your fucking Selfiestick), ein Zeitalter in dem der grosse Teil der Herde solchen Vergnügen frönt, ist es schwierig, gegen den Strom zu schwimmen. Kaum lässt die Aufmerksamkeit nach, schwimmt man schon wieder mit der Herde.

Wahrscheinlich muss das so sein. Bis es so ausgelutscht ist, wie Hollywood-Filme oder Werbung. Bis man einfach genug davon hat. Sich sozusagen ordentlich überfressen hat und dann wieder zu einem normalen Mass findet.

Allein, ich weiss es nicht. Aber schön, mal ehrlich, finde ich es auch nicht …

Tagebuch eines Nihilisten #2

Und nu?

Hey echt, Busen erkennen, Augen erkennen und so … is nicht!

Lungen funktionieren, Herz funktioniert, Saufen und Scheissen funktioniert, alles prima. Muss so gewesen sein, oder? Wie könnte ich sonst von etwas berichten, von dem ich keinen blassen Schimmer habe?

Klar, habe es bei meinen Kindern und Enkeln gesehen. Muss so gewesen sein …

So oder so ähnlich.

Ich weiss es einfach nicht. Nicht mehr … vielleicht. Oder vielleicht auch nicht. Ausserdem habe ich wahrscheinlich sowieso die meiste Zeit geschlafen. Wenn man den Berichten aus der Vergangenheit Glauben schenken mag.

Wahrnehmen! Wie wahr. Alles ist wahr. Alles wird wahr. Ist Hier und Jetzt. Wie auch gerade eben, in diesem Augenblick, in dem ich viel viel älter als Tag zwei bin.

Begreifen? Nein, dafür bin ich noch zu klein. Klar klammert sich meine Hand um einen Finger. Aber ist das schon begreifen? Oder nur Reflex? Oder beides?

Wie schön, das ich noch nichts weiss. Und wie dumm, dass ich noch so vieles wissen möchte. Um festzustellen, je mehr ich weiss, desto mehr weiss ich, dass ich nichts weiss. Der perfekte Kreislauf …

Komische Sache auch, dass mit dem Begreifen. Der Körper scheint schon alles zu wissen und das Gehirn sieht nur Rauschen. Wie der Schnee auf alten Fernsehbildschirmen nach Sendeschluss. Die Hand klammert, der Mund saugt, der Arsch scheisst, da funktioniert schon alles. Ausser dieser kleine Teil, der so bestimmend werden wird. Dieses Ich, dass zum Glück noch gar nicht da ist.

Oder doch? Wann wird der Kopf das Ich entdecken und wie wird er damit klarkommen, alles völlig interessante Fragen, die mich damals, Tag 2, mit Sicherheit einen Scheissdreck interessiert haben.

Schlafen, Saufen, Rülpsen, Scheissen, Schreien, Gucken ohne zu Sehen. Hoffen das jemand da ist, wenn man aufwacht und Hunger hat. Blöd auch, dass man damals meinte: Hey lass es nur schreien, dass gibt kräftige Lungen. Aber weiss ich davon? Im Sinn von wirklich wissen? Erfahrung, die man erinnert?

Jo, kräftige Lungen habe ich schon, aber was heisst das jetzt?

Und Erfahrungen, die man erinnert? Nee, nee, nee, das ist nicht Thema von Tag 2. Da wusste ich ja noch nicht mal, dass es die Illusion der Erinnerung gibt …

Warum kann mein Körper schon leben und mein Geist ist noch schwach? Nicht, dass sich dies je geändert hätte. Fragen, die ich mir glücklicherweise noch nicht stellen kann.

Es geht erstmal nur um Grundbedürfnisse und Prägung. Nicht das ich da einen Einfluss drauf hätte. Oder gar Erinnerungen. Aber wenn man andere Babies so sieht, na ja, man kann sich ganz knapp, mit viel Anstrengung, vorstellen. Jo Mann, so ein kleiner Scheisser muss ich auch mal gewesen sein.

Was jetzt völlig spekulativ ist, wie das Leben im Allgemeinen . Hää? Hat das jetzt was mit Tag zwei zu tun?

Nö, wie auch, ich erinnere mich ja auch nicht an Tag 2. So what?

Warum ich euch das erzähle? Keine Ahnung. Ich bin ja noch nicht mal sicher, ob es euch gibt, Und das Tagebuch ist ein schnöder Betrug. Ich konnte am Tag 2 sicher noch nicht schreiben. Die Erfindung von Textverarbeitungsprogrammen war noch in weiter Ferne. Gänsekiel und Tinte hätten auch nicht geholfen.

Nein, jetzt mal ehrlich. Dieses Tagebuch ist Lug und Trug. Ich erinnere mich nicht mehr und ich weiss es auch nicht.

Und ihr? Ja, jetzt guck nicht so, ja, ihr da draussen, ach Mist, okay, war ein Spiegel, also ihr meine Ichs, da draussen, die ihr in mir drin seid, oder auch nicht, könnt ihr mir helfen, rauszufinden, was ich sagen wollte?

Zumindest ist das Nein, dass mir von mir selbst entgegenbrettert, vielstimmig und machtvoll.

Tagebuch eines Nihilisten #1

Verdammte Kacke, ich kann mich nicht erinnern! Wahrscheinlich habe ich an Mutters Busen gesaugt, gierig, voll bio, lebensnah. Aber nein, wenn ich mich genau erinnere, und es sei klar gesagt, daran habe ich keine Erinnerungen, nur Geschichten aus zweiter und dritter Hand, dann wurde ich mit der Flasche aufgezogen.

Was vieles erklärt. Aber bei weitem nicht alles. Bei weitem nicht …

Okay, Tag 1, ich bin da, keine Ahnung wie, die neun Monate davor vergessen wir auch, genauso wie den Fakt, dass mein Vater eigentlich andere Pläne hatte …

Marlene, hatte andere Pläne, doch Simone de Beuavoire …

Also gut, ich bin da, muss da gewesen sein, wahrscheinlich, wenn ich nicht denke, dass jemand anderes mich gerade denkt, so what?

Ist das jetzt ein Satz? So richtig mit Subjektiv, äh Objektiv … , gibt es das überhaupt? Egal Subjekt, Prädikat, Objekt. So ging das doch, oder? Bloss am ersten Tag? Nee, nee, nee, da hatte ich noch keinen blassen Schimmer, was, wenn ich es recht bedenke, immer noch genauso zutrifft, aber egal …

Nen Satz, so richtig, also Sprache, hey Mann, am ersten Tag? Wie bist du denn drauf? Titten, hoch hängend und dann Plastiknippel, so sah mein Tag aus. Aus denen Nährflüssigkeit tropfte, der ich mich nicht widersetzen konnte. Es galt zu wachsen, zu leben, zu scheissen, zu furzen, zu sabbern, zu rülpsen und … noch lange nicht … zu denken. Hey, klar Mann, auch wenn jeder so tut, als wäre er oder sie oder es, wie ich just gelernt habe, gerade so, völlig fertig, aus dem Ei geschlüpft …

Wir wissen nix, wenn wir auf dieser Welt ankommen. Und das ist ja noch völlig okay, mal locker gesehen. Aber das wir immer noch nix wissen, wenn wir erkennen, dass wir früher oder später halt doch gehen müssen, na ja, dass ist jetzt schon etwas … wie sagt der Bauer … mager? Mager dieses nicht, vielleicht mager jenes, oder was?

Ma ehrlich, was hat das mit meinem ersten Tag auf dieser Welt zu tun? Zurecht mag man sich fragen, was will der Bursche uns sagen?

Und zurecht möchte ich anmerken, was spielt das überhaupt für eine Rolle?

Kannst du deinem Kind WIRKLICH mit Worten beibringen, dass eine Herdplatte heiss ist? Echt? Komm vorbei und zeig es mir. Sonst nehme ich dir das nicht ab.

Aber ja, erster Tag, weit davon entfernt, zu wissen, was Herdplatten sind, imaginierend im Alter, wie es denn so gewesen sein könnte … und alles reinhören … in sich … erinnern … … hilft nix, überhaupt nix – die Götter waren gnädig! Du hast einfach keine Erinnerung mehr!

Du weisst, es muss gewesen sein. Es scheint wahr zu sein, wenn du deine eigene Existenz (Wie willst du eigentlich sicher gehen, dass du eine Existenz hast?) als gegeben hinnimmst. Du bist, im Hier und Jetzt, und hast, vielleicht, ein Alter von <hier speziesspezifische Zeitskala einsetzen> oder so. In meinem Fall viel zu viele Jahre, das ist hier so das Mass. Einmal um die Sonne rum und fertig ist ein neues Jahr. Was immer das auch bedeuten mag …

Okay, wir sind jetzt mal ganz krass. Wir gehen einfach davon aus, dass es uns, mich, wer auch immer das ist, früher, irgendwann, irgendwie mal gegeben hat und gegeben haben werden wird. Oder so.

Ich bin jetzt einfach so da. Ein Fakt, der den Fakt fuckt. Echt Fakt.

Aber, ma ehrlich, seit wann wäre der Mensch von Irrationalität nicht begeistert gewesen? Wie auch nicht? Wenn alle Möglichkeiten verwehrt sind, rational zu sein?

TAG 1? Echt jetzt? Wann soll das gewesen sein? Als physikalische Präsenz begann ich als Spermie und Eizelle einen Bund fürs Leben eingingen. Sozusagen!

Und das war lange vor meiner Geburt. Und kaum gebohrt, hat es auch nicht geholfen. Ein Klumpen Fleisch, der aufgrund genetischer Programmierung einen völlig überhöhten Niedlichkeitsfaktor erhielt, nur um sicherzustellen, dass dieser Klumpen rülpsendes, furzendes und sonst wie agierendes Fleisch zur Erkenntnis kommt. Mit der man dann meist selten zufrieden ist. Aber immerhin.

Wo fängt Tag 1 an? Nicht bei der Geburt, soviel ist klar. Im Moment der Zeugung? Physikalisch korrekt. Aber ich? Ich, wie ich mich als das Ich verschiedener Ichs fühle? Und wann habe ich eigentlich angefangen, von mir in der Mehrzahl zu sprechen?

Tag 1 ist eine Idiotie. Mehr nicht.

Wahrscheinlich habe ich geschrieen als ich endlich da war. Aber wie verlässlich sind schon Augenzeugen? Es begann. Irgendwo. Irgendwie. Und jeder wird wahrscheinlich früher oder später merken: Es endet! Möglicherweise gerade jetzt. Okay. Sollte ja irgendwann auch mal genug sein … obwohl …

Vielleicht eines der wenigen Dinge, die uns als Mensch definieren. Wir bekommen nie genug!

Vorausgesetzt, es ist so, wie wir denken. Doch war es dann auch so, als wir noch nicht denken konnten? Wie sprach der alte Goethe aus dem Munde von Mephistopheles? Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht. Denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht.

Rahmenhandlung – eine absurde Geschichte

Es begann … irgendwas unklar bezüglich dass etwas erst beginnen muss um zu enden … also es begann … zu der Zeit, als Menschen herumliefen, die nichts mehr liebten, als sich ihre dornenbesetzte Peitsche links und rechts über den Rücken zu knallen und voller Wolllust den Schmerz zu empfangen, also genau jene Leute, die entsetzt gewesen wären, wenn ihnen bewusst geworden wäre, dass dieses Ausüben ihrer Tätigkeit durchaus einen trivialen und geschichtlichen Hintergrund hatte …

… eine uralte überlieferte Kulturübung, seit man die Kleidung in kalten Gegenden erfunden hatte, weil der Haarwuchs nicht mehr genügte, genauer vielleicht, seit man auf die Idee gekommen war, dass man sich einen Säbelzahntiger, wenn erst einmal das Innerste entfernt war, problemlos über die Schulter legen konnte, was spätere Designer dazu inspirierte, diese Erfindung einen Schal zu nennen, kleiner Einwurf, heutzutage würde man SZT dazu sagen, aber Moden … sie kommen und gehen und überhaupt …

… natürlich nur in Gegenden, in denen annähernd Deutsch gesprochen wurde, es war ja insgesamt viel praktischer, dass jede Sprache ihr eigenes Wort dafür hatte, damit auch ja keine Langeweile aufkommt, ich mein, wer will schon wirklich immer wissen, was der andere so genau mit diesem Wort meint … Aber halt!

Ich schweife ab. Wo waren wir? Nun, die Erfindung des Schals und die damit einhergehende Kultur, ich meine, jedem Idioten sollte doch klar sein, wer einen Schal braucht, bei dem ist es nicht immer warm, oder, aber wie auch immer, egal, also zu uralten überlieferten Kulturübungen zurückkehrend, natürlich, wenn es nun mal kalt war und keiner wusste, lag es jetzt an dem Schal oder lag es an dem Wetter, Henne oder Ei, sie kennen das, oder auch nicht …

… also, es war doch ganz klar, zumindest wenn es draussen schneite und stürmte, also genau so mittelkalt war, dass solcherlei Dinge passieren können, also, können sie sich das überhaupt vorstellen? Oder sind sie immer nur in geheizten Räumen oder Röhren unterwegs? Hey, mal ehrlich, wer von euch hat in dem letzten Jahr eine Schneeflocke gesehen? Also so richtig gesehen? Nicht so verächtlich von der Jacke abgestreift? Könnte es sein, dass ich schon wieder abschweife.

Aber nein, genau diese Schneeflocke, jetzt benehmen sie sich nicht so, als wären sie im Kindergarten, ja, genau da! Wie das Kaninchen vor der Schlange, wenn die Oberaufseherin kommt, wie auch immer das genderkorrekt zur Zeit auch heissen mag. Locker bleiben, es geht doch nur um Schneeflocken. Und was das für Folgen haben kann. Wo war ich?

Ach ja. Also damals, ich meine wirklich dieses damals, als sie noch nicht geboren waren und zu Recht mögen sie sich fragen, woher ich das dann weiss, aber die Auflösung dafür verrate ich in einem speziellen Vortrag nur für eingeweihte Gäste, Tickets, sofern es noch welche gibt, können sie am Eingang für ein bescheidenes Honorar erhalten, zurück, die Schneeflocke – haben sie sich jemals eine solche Schneeflocke näher angesehen?

Ja nee is klar, auf Youtube und Netflix. Sie kennen dann halt auch nicht das typische – äh halt, woher sollten sie das kennen. Ich meine das Haus wird doch sowieso von Robotern gesaugt und gewischt … ach bei ihnen noch nicht? Da weiss ich jetzt aber auch nicht, ob ich das Pech oder Glück nennen soll. Ach sie haben noch eine Mutter oder einen Vater der hinterher wischt, auch okay, funktioniert. Definitiv.

Wie blöd Eltern manchmal sein können, aber ja, das setzt ja schon mit der Babyphase ein, einmal gefangen, immer gehangen, aber, ja, wie sie schon selber merken, das tut natürlich nichts zum Thema. Schneeflocken, die an die Jacke klopfen, nein, denen ein Einreiseverbot von höchster Stelle erteilt wurde.

Hey sie da drüben, ich kann sie denken hören und ja, ich komme jetzt endlich zu dem Punkt. Auch wenn ich immer noch keinen Rahmen für die Handlung gefunden habe, die gleichwohl eine uralte überlieferte Kulturpraxis ist, die nicht nur in kalten, sondern auch in staubigen Ländern gern praktiziert wird und, wie ich darauf hinweisen mag, überhaupt nichts damit zu tun hat, sich den Rücken mittels dorniger Peitschen blutig zu schlagen.

Ich meine was machen sie, wenn sie irgendwo eingeladen sind und den Schnee, den Staub nicht ins Haus schleppen wollen und zufälligerweise, wer hätte damit rechnen können, auch noch einen Schal dabei haben. Na? Jetzt gucken sie nicht so … echt jetzt? In einem Einkaufscenter gross geworden, in dem einem in der Schleuse der Dreck von der Kleidung geblasen wird?

Okay, kann ja mal passieren. Also, wenn sie nicht wissen was ein Schal ist und ihnen im Kindergarten auch niemand dieses spezielle Wissen beigebracht hat, es ist wie eine von diesen vorher erwähnten Peitschen, nur ohne Dornen, breiter, flauschig und in manchen Fällen sogar angenehm ohne zu kratzen. Sicher ich kann natürlich jene verstehen, denen der kratzige Schal mehr Folter war als eine Dornenpeitsche, zumal meist die Unterwäsche aus dem gleichen Material gefertigt wurde, egal, ich nehme jetzt mal an, ihr wisst was ein Schal ist, sein könnte oder könnt es euch zumindest annähernd falsch vorstellen.

Nun, tata, Auflösung der Rätsels … aber hey, war das überhaupt ein Rätsel? Könnt ihr euch immer noch noch diese typische uralte überlieferte Kulturhandlung vorstellen, mit der man, unter Zuhilfenahme eines Schals … nein, wie oft soll ich das noch sagen, es hat eben nix mit Peitsche zu tun, dass ist nur, naja, wie sag ich’s meinem Kinde, eine uralte überlieferte Kulturhandlung, die etwas, vielleicht etwas zu stark, aus dem Rahmen gefallen ist und sozusagen selbst zu Handlung wurde.

Nee jetzt, nicht blöd schauen, den Schal nehmen! Oder irgendeinen Gegenstand oder ein Wesen in der Nähe, dass sich als selbiges eignet und natürlich auch Willens ist, am besten man fragt das Wesen erst nachher, wenn es noch betäubt ist und fügt hinzu, sag einfach ja, also … man nehme diesen Schal und schlage ihn sich bitte einmal links und einmal rechts über die Schulter um all den Dreck loszuwerden, den man nunmal nicht mit den Händen erreichen kann.

Ja, schau nicht so, klar, ich sagte doch, eine uralte, überlieferte Kulturtechnik … hey du da, sag mal bin ich hier im Kindergarten oder hat die Handlung keinen Rahmen?

Götter …

Der Gott der Widerspenstigkeit
der … der tut mir jetzt schon leid
Wenn ich ihn einst werd‘ sehen
Wird ihm das Lachen wohl vergehen

Prometheus‘ Schicksal wird wie Urlaub ihm erscheinen
Wenn Faust und Zorn in seiner Fratze sich vereinen
Doch das wird nur ein Zeitvertreib
Ich rück ihm richtig auf den Leib

Was er auch anpackt, ich bin da
Versau es ihm, ganz wunderbar
Lass‘ nie nicht zu, dass ihm gelinge
Und bin dabei noch guter Dinge

Ein Sticheln hier, ein Scheitern da
Vielleicht wird ihm dann endlich klar
Wie es sich anfühlt all die Zeit
Wenn Widerspenstigkeit ihn stündlich freit

Was? Solch Gott hat’s nie gegeben?
Ach wart’s nur ab, dann wirst auch du’s erleben
Der Mensch, dass ist doch sonnenklar
Erschafft die Götter, macht sie wahr

Kein Gott würd‘ wandeln in der Welt
Wenn Mensch dem Gott nicht Treue hält
Wenn Glauben nicht den Gott erschafft
Und ihn erfüllt mit Menschenkraft

Ach nee, du glaubst es nicht, na und?
Vielleicht gab’s ja ’nen Götterschwund …
Drum schaff‘ ich mir, vermittels Leid
Den Gott der Widerspenstigkeit

Wenn du ihn siehst, wirst du’s erkennen
Du kannst ihn gern auch anders nennen

Freier Fall

Nun, er hatte Glück! Immerhin hatte er nicht, wie andere, darauf bestanden, dass er keine Kinder wöllte. Er meinte, lassen wir’s drauf ankommen, was ihm viel Ärger und Frust ersparte. Dafür jede Menge anderen Frust und Ärger einbrachte.

Ganz im Gegensatz zu den anderen Männern, die keine Kinder wollten, sie aber trotzdem bekamen. Und wenn Frau dazu auf die Samenbank gehen musste, um nachher den Vater in die Pflicht zu nehmen. Gegen biologische Imperative kämpft man nicht an! Das Leben war auch so schon kompliziert und enttäuschend genug. Frag Marvin, wenn du es nicht glaubst.

Dass dann diese Kinder da waren, half meist, es als Glück zu verklären. So wie das Glück von einem Güterzug frontal gerammt zu werden und es trotzdem zu überleben. Und was konnten die Kinder schon dafür? Keine Sorge, das Leben würde sich schon was Passendes ausdenken. Da konnte man sich, bei so einer unbeständigen Sache, wie dem Leben, sicher sein.

Leben? Ja, das war wohl der Gedanke, der ihn auf diesen Fenstersims gebracht hatte. Nein, er hatte nicht vor, dreimal so alt zu werden, wie das Universum, um dann, genau wie Marvin, sagen zu können: Leben? Erzähl mir nichts vom Leben …

Es würde heute enden, so oder so! Nicht das es eine Rolle gespielt hätte. Eigentlich war er doch schon seit Ewigkeiten so tot, wie Hot Black Desiato, nur nicht aus steuerlichen Gründen. Und Gründe sich zu beklagen hatte er sowieso nicht. Wie käme er dazu? Beklagt sich ein Surfer, wenn ihn die Welle erwischt?

Nun gut, ja, die meisten beklagen sich.

Aber ein Surfer im Herzen? Nie!

Ausser, wenn es keiner sieht!

Gnädiger gestimmte Menschen machten dann das Schicksal oder irgendwelche Götter verantwortlich. Weniger gnädige Personen, die Sorte, die, die man zuhauf an jeder Ecke trifft, machen eher andere Personen oder Dinge verantwortlich. Was vielleicht erklärte, warum so viele Leute mit vollem Bauch und Dach über dem Kopf tatsächlich meinten unglücklich zu sein.

Es gab natürlich eine Theorie, die besagte, dass man solche Probleme eigentlich nur mit vollem Bauch und Dach über dem Kopf hätte. Aber wie die meisten Theorien, war auch diese Theorie nur annähernd richtig, auch wenn der kausale Zusammenhang nicht gänzlich konstruiert war.

Das es eigentlich keine kausale Zusammenhänge gab, war nur eine Nebensächlichkeit, die dem Menschen nicht bewusst war. Nicht bewusst werden konnte, was aus der Tatsache resultierte, dass diese Lebensform auf einem Betriebssystem lief, dessen Treibstoff Kausalität war. Egal, ob es sie gab!

Alles musste einen Grund haben. Musste! Und wenn es einen Grund geben musste, gab es den auch. So einfach, so erheiternd!

Wollte er jemanden verantwortlich machen? Nein! Gewiss nicht. Naja, ein bisschen vielleicht. Eigentlich ganz entschieden!

Und das wäre ja, sogar gemäss der Meinung der Mehrheit, völlig im Einklang mit dem allgemeinen Verständnis von Leben gewesen. Das Dumme war nur, der einzige, der ihm einfiel, den er verantwortlich machen konnte, war unbestreitbar er selbst!

Was spielte das schon für eine Rolle, dass er seine Kinder aufgefordert hatte, ihn fertig zu machen, damit er einen Grund hätte, seine persönliche Misere endlich zu beenden. Er hatte sie schliesslich aufgefordert und sie hatten diesen Job sehr ernst genommen. Mehr kann man sich doch nicht von seinen Kindern erwarten? Zumindest in einem ironiefreiem Leben, in dem man alles wörtlich nimmt.

In einem kurzen Anfall von Verzweiflung hatte er daran gedacht, die Kinder mitzunehmen, den ganzen langen kurzen Flug. Natürlich nur am Telefon. Am besten über Skype. Oder Youtube. Damit die Gaffer auch auf ihre Kosten kämen. Aber nein, das betraf nur ihn und diese Personen waren nur zufällig seine Kinder. Was hatten sie schon damit zu tun, dass er da war, wo er war?

Natürlich alles!

Aber das spielte keine Rolle. Im Endeffekt hatte er das gemacht, was er gemacht hatte und sich nie anders entschieden. Möglicherweise aus diesem Zwang heraus, einen Grund zu finden. Weil die Kinder da waren, musste er arbeiten. Weil er auch noch die Schulden aus der Ehe übernahm und Unterhalt leisten musste, musste er noch mehr arbeiten. Weil die Kinder auf einmal hunderte von Kilometern entfernt waren, arbeitete er noch mehr und so weiter und so fort, der ganze typische „Ich seh da einen Zusammenhang“ Kram halt.

Dabei war es seine Entscheidung die Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn ihn niemand, ausser er selbst, darum gebeten hatte. Naja, seine Frau oder sollte er Frauen sagen, ja, Frauen klang besser und war korrekter, hatten gefordert und gewollt. Ausser wenn sie mal nicht gewollt hatten. Meist wenn er wollte. Da kann man doch nicht wirklich davon reden, dass er gebeten wurde. Und dass die Kinder ihm die Schuld gaben, dass die Frau auf einmal hunderte von Kilometern zwischen ihn und die Kinder brachte, je nu, war ja klar. Wer sollte denn sonst Schuld sein? Die unangreifbare, unfehlbare Mutter etwa?

Wage es nicht uns die Schuld zu geben hiess es. Wie der Polizist, der ihn nicht durchlassen wollte, weil da eine Veranstaltung war. Und die Begründung, dass er aber dort wohnte, so sehr mochte, dass er ihm herzzerreissend die Scheisse aus dem Leib prügelte. Und dabei immer schrie: „Geben sie nicht mir die Schuld! Sie haben doch damit angefangen!“. Wenigsten hatte der Polizist nicht auch noch gedroht, sondern eher höflich gebeten. Auf seine Art. Mit Worten zumindest. Was konnte er schon dafür, dass seine Taten so anders ausfielen.

Dabei ging es ihm gar nicht darum, irgendjemandem die Schuld zu geben, sondern nur zu erklären, warum er im Bezug auf Weihnachtsgeschenke nicht in der Stimmung gewesen war. Nicht in der Lage war, viel zu schreiben oder gar anständige Geschenke zu liefern. In Sachen Erwartungen, da kannten seine Kinder kein Halten. Da waren sie Profis. Da waren sie in vertrautem Gelände. Das konnten sie.

Und alles nur, weil die Kinder sich beschwerten. Über die Geschenke. Natürlich. Und über ihre wiedermal enttäuschten Erwartungen. Allerdings hatten sie davon so viele, dass es eher schwer war, irgendwen irgendwie mal ausnahmsweise nicht zu enttäuschen.

Von allein hätte er mit diesem Thema gar nicht angefangen, das ihm dann um die Ohren gehauen wurde. Aber dieses selbstmitleidige, erwartungsenttäuschte „Das musste jetzt mal raus!“ hatte ihn zu einer Gegenreaktion getrieben. Auch bei ihm musste mal einiges raus.

Nicht das es seine Kinder interessierte, wie es ihm ging. Was da mal raus musste. Ausser es war lustig, fröhlich, unverbindlich. Sie hatten ja schon sein Testament als Angriff gewertet. Als ob es so unnormal wäre, in höherem Alter auch mal darüber nachzudenken, was wäre, wenn ihm irgendetwas zustossen würde. Insbesondere wenn man ständig unterwegs war. Auf die Dauer der Zeit steigt nun mal die Wahrscheinlichkeit für Unfälle.

Nein, jedes Anzeichen von Nichtfröhlichkeit war ein Affront. War ein Sturmangriff auf ihre Erwartungen, jetzt doch bitte bedient zu werden, jetzt doch bitte das zu bekommen, was sie sich wünschten. Es reichte doch wirklich, dass ihnen schon die Welt verweigerte, ihre Erwartungen zu erfüllen. Da war es doch nur recht und billig, dass wenigstens er ihre Erwartungen erfüllte.

Und bis zu einem gewissen Alter fand er das auch völlig okay. Schliesslich machte man das doch so. Den Kinder erzählen, dass alles nicht so schlimm ist, während man innerlich verreckt. Das alles wieder gut wird, während man nicht schlafen kann und nicht weiss, wie es weitergehen soll. Das macht man doch so.

Aber bei erwachsene Personen? Mit eigenen Kindern, die langsam in die Pubertät kommen? Er fragte sich immer noch, wann er diesen Vertrag mit Blut unterschrieben hatte? Ach nee, genau, es war kein Blut gewesen. Es war Sperma! Die Geheimtinte. Alles klar.

Hätte er sich ja eigentlich gleich denken können. Ha, denken, er war sich ja noch nicht mal sicher, ob er überhaupt denken konnte. Nachher denken, ging immer gut. Oh nein! Hätte ich doch nur! Wenn ich das gewusst hätte! Das funktionierte prima. Das mit dem vorher denken, das war das Problem.

Das Konzept einer Drohung schienen sie auch nicht verstanden zu haben. Oder er hatte es nicht verstanden. Wer weiss das schon. Sie hatten sich beschwert, er hatte versucht es zu erklären. Dummerweise keine fröhliche Sache. Dummerweise vermintes Gebiet. Aber eine Drohung? Wo hatte er verdammt noch mal damit gedroht? Er hatte erwähnt das es ihm schlecht ging, worauf ganze Engelschöre „Selbstmitleid, Selbstmitleid, Selbstmitleid“ anstimmten.

Er hatte erwähnt, dass er weiterkämpft. War das die Drohung? Sollte er endlich konsequent mit kämpfen aufhören? So hatte er das bis jetzt noch nie gesehen. Klar, seine Gegenwart, auch wenn weit entfernt, weiter ertragen zu müssen, Schuldgefühle zu haben, weil man keine Zeit und keine Lust hatte, sich um den Vater zu kümmern, logisch, wenn er dann weiterkämpfte, dann war das eine handfeste Drohung.

Das Gute war, dass sie damit seinen Trotz geweckt hatten. Sonst hätte er sie auf die Brücke mitgenommen. Doch wenn sie das mit aller Macht versuchten, ihn genau dahin zu bekommen, dann … dann erstmal nicht. Nicht mit mir. Und so erst recht nicht. Sein ganzes Leben hatte er sich dieser Welt abgetrotzt. Da kannte er sich aus. Da war er auf vertrautem Terrain.

Überrascht entdeckte er, dass er ein wandelnder Widerspruch war. Egal was jemand sagte, er fand ein Position die der geäusserten diametral gegenüber stand. Ich mag das nicht – ach es hat doch auch seine schönen Seiten. Ich mag das – naja, wo Licht ist, ist auch Schatten. So etwas in der Art. Aber auch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Selbst am Trotz und Widerspruch hatte er mittlerweile den Spass verloren.

Kurz danach dachte er noch daran, seine Kinder zu enterben. Schrieb es auf. Zerriss es wieder. Was, in Gottes Namen, konnte er schon vererben? Da war nichts mehr von Wert. Und sein Leben? Keinen Pfifferling war es wert.

Wieso stand er jetzt eigentlich hier? Auf dem Fenstersims? Und fror? Und dachte? Dieses Danachdenken. Es wurde Zeit für einen Schlussstrich. Oft, wenn er glaubte, er könne nicht mehr, hatte er sich mit den Gedanken an seine Kinder getröstet. Halt gefunden. Einen Grund. Einen beschissenen, verdammten, idealisierten Grund.

Worte, ja, Gelaber ja, da waren seine Kinder Meister, wie er selbst. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Klar doch, du bist immer willkommen. Und so. Reine Lippenbekenntnisse. Als er zufällig noch dachte, weil er in der Nähe war, sich bei einem seiner Kinder zu melden, wäre eine tolle Idee, kam nur ein vorwurfsvolles „Was willst du denn hier?“. Er hatte sich aus dem Staub gemacht, bevor noch mehr dieser liebevollen Wörter sein Ohr erreichen konnte.

Einen Abschluss, er musste einen Abschluss finden. Die Sache ging schon viel zu lange und, um es mit Marvin zu sagen, er hatte immer noch diese schrecklichen Schmerzen in der linken Diode.

Deswegen war er hier. Um das alles hinter sich zu lassen. Um dem Trotz zu trotzen. Der ultimative Trotz sozusagen. Wie sollte er sich noch mit Kindern trösten, die einen alten kaputten Mann eher in den Tod trieben als ihm vielleicht mal zu sagen, ist alles nicht so schlimm? Wird schon wieder. Sie waren ja schliesslich nicht seine Eltern. Der Job war nur für die eigenen Kinder bestimmt.

Nein, in solchen Kindern konnte er keinen Trost mehr finden und für alles andere war es nun auch zu spät. Es ist ja nicht so, dass das Alter mit Lebenskraft und Gesundheit einhergeht. Eher entzieht das Alter dir genau diese Sachen.

Genug gedacht, in einem anderen Leben würde er ihnen vielleicht verzeihen können, aber vergessen? Nein, vergessen würde er nie. Ausser er sprang jetzt endlich. Wenn nicht, würde er noch zum Ritter von der traurigen Gestalt. Und Aufmerksamkeit erregen. Doch an dieser Sorte Aufmerksamkeit lag ihm nichts. Die andere Sorte jedoch gab es nicht. Nicht für ihn … also sprang er.

Noch im Fall kam ihm der Gedanke, habe ich da nicht etwas vergessen. Doch, zu spät. Er fiel und die Zeit dehnte sich ins Unermessliche. So ein Schmarrn, dachte er, dass sich das Leben nochmal vor einem abspult, wenn es soweit ist. Alles nur Blödsinn made in Hollywood. Entweder denkt man „Scheisse, ich falle, ich ertrinke, ich … irgendwas“ oder man denkt „War da nicht noch was?“. Und dann ist es schon rum.

Weich landete er auf dem Rasen vor dem Fenstersims. Des Fensters im Erdgeschoss. Die Nachbarn schauten immer noch etwas komisch. Aber er war glücklich. Er hatte es einfach tun müssen. Diesen symbolischen Sprung in ein neues Leben. Das alte hatte er hinter sich gelassen. Es war ihm egal. Es war Geschichte.

Das neue Leben hatte eben erst begonnen!

(Zu Marvin und Hot Black Desiato befrage man den „Anhalter durch die Galaxis“ – ein Buch, auf dem mit freundlichen Worten KEINE PANIK steht.)

Einsamkeit

Einsamkeit
in Zeit gegossen
Bernsteinträne
nicht verflossen

Seelenbaum ächzt stark
im Wind
spürt wohl schon
des Sturmes Kind

Kaum noch
ein Vogel im Geäst
Der seine Stimm
erklingen lässt

Der Winterhauch
mit Frost wohl naht
Wie er es
schon immer tat

Fröhlich Zwitschern ist verklungen
der Himmel grau in grau getönt
Ach, was hab ich doch gerungen
und mich an manchen Schmerz gewöhnt.

Vielleicht …

wenn ich den Schmerz verhöhne
einsam, kräftig, schmerzvoll töne …

Könnt ich wohl … anders …

… einsam sein

Inmitten fremdvertrauter Menschen
fröhlich feiernd

doch allein.